Trauma und Menszyklus haben auf den ersten Blick nicht unbedingt etwas miteinander zu tun. Auf den zweiten Blick allerdings können sich viele Zusammenhänge erschließen. Das Aufdecken von unbewussten, sich wiederholenden Mustern im Zyklus kann unterstützend sein, den Menszyklus schmerzfrei und vor allem, in tiefer Verbundenheit mit sich selbst zu erleben.
Trauma ist nicht gleich Trauma. Trauma existiert wie vieles im Leben auf einem Spektrum und kann verschiedene Ursachen und Auswirkungen haben. So gibt es zum Beispiel körperliches Trauma, das durch einen Unfall entstanden sein kann, Schocktrauma oder intergenerationales Trauma, Entwicklungstrauma, welches oft Bindungstrauma mit einschließt, kollektives Trauma und sekundäre Traumatisierung.
In diesem Artikel geht es hauptsächlich um Entwicklungs-/Bindungstrauma, dessen Ursachen in der Kindheit liegen und dazu führen können, dass sich bestimmte Lebensbereiche schwerer anfühlen als andere. Das Ausmaß des Traumas wird durch die jeweiligen Lebensumstände und die anhaltende Häufigkeit einer stark überfordernden Situation bestimmt. Eine überfordernde Situation kann zum Beispiel das Verlieren eines Elternteils durch Scheidung oder Tod sein oder auch emotionaler oder körperlicher Missbrauch. Mitunter sind es gerade auch die Erfahrungen, die im feinen zwischenmenschlichen Bereich passieren, die dazu führen, dass sich dieser heranwachsende Mensch als minderwertig und weniger liebenswert empfindet.
Diese Empfindungen sind jedoch nicht bewusst, sondern tief im Unterbewusstsein vergraben, beschützt durch alle möglichen Glaubenssätze, flacher Atem, harte kritische Stimmen gegen sich selbst und andere und Anspannung im Körper. Der Schutz dient dazu, die erlebten, schrecklichen Empfindungen nie wieder fühlen zu müssen und vor allem Situationen zu vermeiden, die genau diese Empfindungen wieder erzeugen könnten. Deswegen ist es manchmal leichter zu schweigen statt eine Grenze zu setzten oder sich busy zu halten statt sich auszuruhen oder zu prokrastinieren statt zu zeigen, was frau drauf hat. Die Reihe der Beispiele ist lang und variiert für jeden Menschen.
Hinzu kommt, dass sich über Zeit, der Körper aka das Nervensystem und der Kopf auf diese Situation einrichten. So bildet sich eine Art Komfortzone. In der Fachsprache heißt diese Komfortzone „window of tolerance“. Alles was innerhalb dieses Toleranzfensters liegt, wird als angenehm wahrgenommen. Alles was außerhalb liegt, bereitet dem Nervensystem Stress. Zum Beispiel liegt für manche Menschen eine liebevolle Partnerschaft innerhalb des Toleranzfensters und für andere außerhalb. Es besteht eine Angst davor, geliebt zu werden. Dieses Gefühl bereitet so viel Stress, dass dieser Mensch unbewusst alles daran setzt, Erfahrungen in ihr Leben zu ziehen, die ihr spiegeln, dass sie nicht liebenswert ist. Nicht liebenswert zu sein, fühlt sich in dem Moment sicherer an als geliebt zu werden.
Das Toleranzfenser bestimmt demnach, welche Erfahrungen im grünen Bereich liegen und welches Stresslevel als normal empfunden wird. Je höher das Status quo Stresslevel, desto schwieriger ist es zu entspannen. Entspannung kann in diesem Fall Angst machen, denn in der Entspannung lässt der Körper los und dann könnten unerwünschte Gefühle aufkommen.
Für genau diese Situation ist der Körper vorbereitet und reagiert entweder mit Erstarrung, Flucht, Kampfansage oder Fawning (Anpassung). All das geschieht sehr schnell und unwillkürlich und ist super effektiv, ein bestimmtes Gefühl zu vermeiden. Diese Abwehrmechanismen haben allerdings zur Folge, dass der Bezug zur eigenen Gefühlswelt verloren gehen kann und mit der Zeit, Gefühle allgemein oder bestimmte Gefühle als beängstigend und überfordernd wahrgenommen werden können.
Ein weiterer Aspekt von Trauma ist die eingeschränkte Fähigkeit, Stress zu regulieren. Das bezieht sich auf „positiven“ sowie „negativen“ Stress. Also zum Beispiel eine Situation, die Freude auslöst und eine Situation, die ein Schamgefühl auslöst. Menschen mit großem Toleranzfenster können ihren Stress modulieren. Sie können vom ersten Gang in den zweiten bis zum fünften rauf schalten und auch wieder runter schalten, ohne, dass ihr Nervensystem Alarm schlägt. Sie können also die Freude vollständig im Körper spüren und sich dem Spüren des Schamgefühls gegenüber öffnen. Bei Menschen mit kleinerem Toleranzfenster fehlen oft die Gänge zwischen dem ersten und fünften, was dann in Überforderung umschlagen kann. Der Wunsch oder auch die Sehnsucht die volle Freude spüren zu können ist da, macht gleichzeitig allerdings Angst, so dass sich der Körper schützt mit einem der genannten Abwehrmechanismen und der Kopf straft meistens mit einer abwertenden, kritischen Stimme.
Wie wirkt sich nun Trauma auf den Menszyklus aus?
Der Zyklus spiegelt nicht nur, ob der Körper in einem gesunden, ausgeruhten und hormonell ausbalancierten Zustand ist, sondern ist auch ein Spiegel für das eigene Nervensystem und Toleranzfenster. Der sich stetig verändernde Hormonhaushalt führt dazu, dass frau* sich jeden Tag ein wenig anders fühlt. Manchmal sind das willkommene Gefühle und manchmal sind das Gefühle, die weniger Daseinsberechtigung bekommen und oft als „negative“ Gefühle bezeichnet werden. Die prämenstruelle Phase hat einen besonders schlechten Ruf, da sie solche Gefühle wie Wut und Angst hervorholen kann. Welche Gefühle frau zulässt und bewusst erlebt, entscheidet das persönliche Toleranzfenster.
Der Zyklus kann eingeteilt werden in vier Phasen und 2 Hälften. Jede Phase kann unterschiedliche Qualitäten in der Psyche der Frau hervorbringen. Die beiden Hälften hingegen stehen für einen Energieanstieg in der ersten Hälfte und einen Energieabfall in der zweiten Hälfte. Der Zyklus lädt also ein, in der ersten Hälfte in die Fülle und Expansion zu gehen und in der zweiten Hälfte sich eher auf sich selbst zu besinnen, sich mit Bedürfnissen und der eigenen Wahrheit zu verbinden. Dieser ansteigende und abfallende Energieverlauf kann mitunter herausfordernd für das Toleranzfenster sein. So kann zum Beispiel ein Energieanstieg ein Gefühl von sprudelnder Freude oder auch grenzenloser Möglichkeiten auslösen. Wenn das Nervensystem diese Gefühlszustände nicht halten kann, weil Freude und grenzenlose Möglichkeiten gelernte, negative Konsequenzen haben könnten, werden diese Gefühle unterdrückt. Ähnlich kann es sich mit der abfallenden Energie der zweiten Zyklushälfte verhalten.
Bevor ich im Folgenden beschreibe, wie sich unbewusste Muster in jeder Zyklusphase zeigen können, nimm dir einen kurzen Moment Zeit und reflektiere darüber, in welcher Zyklushälfte und Phase des Zyklus du dich am wohlsten fühlst und warum.
Menstruation oder auch der innere Winter:
In dieser Zyklusphase, die bereits vor dem Einsetzen der Blutung beginnen kann, möchte der Körper loslassen und sich nicht mehr mit den Aufgaben des alltäglichen Lebens beschäftigen. Die Aufgabe besteht eher darin, die Gebärmutterschleimhaut abzulösen und die Energie, die sonst zum Denken benutzt wird, ins Becken fließen zu lassen. Das hat den Effekt, dass frau sich mitunter wie im Nebel fühlt, neben sich steht und Gedanken nicht mehr klar formulieren kann. Die Winterphase ist demnach eine Einladung, sich fallen zu lassen. Loszulassen mit dem tiefen Vertrauen, dass die Welt sich weiter dreht während frau sich ausruht und ihren Körper weich werden lässt.
Genau dieses Fallenlassen und Weichwerden kann Angst machen. Kurz vor der Blutung spürt das Unterbewusstsein, dass eine Veränderung naht. Der bekannte Halt rutscht weg und frau findet sich im freien Fall ins Ungewisse wieder. Die Angst vor Kontrollverlust kann an dieser Stelle im Zyklus ganz besonders hervortreten. Um die vermeintliche Kontrolle zu bewahren, spannt sich der Körper an, besonders gern der Kiefer, das Becken und der Kopf, was sehr oft zu Schmerzen und Migräne währen der Periode führen kann. Die Angst vor dem, was passieren könnte, wenn frau sich in ihre innere Unterwelt begibt und sich für ihr ganzes Potenzial und die Liebe öffnet, erscheint in dem Moment zu groß. Es liegt außerhalb des Toleranzfensters und bereitet Stress. Der Körper und die Psyche suchen daher nach Wegen sich abzulenken. Zum Beispiel mit sozialen Medien, Essen oder Arbeit.
Auch leben wir in einer Kultur, die ausruhen als nicht wertvoll ansieht. So kann es gerade in dieser Zyklusphase zu einem inneren Ringen zwischen Bedürfnis und den selbst gesetzten Anforderungen kommen. Hier spielen gelernte Glaubenssätze eine große Rolle. Sich Zeit nur für sich zu nehmen und niemanden und nichts gerecht werden zu müssen, kann an die Grenzen des Toleranzfensters führen, was sich darin zeigen kann, dass frau ihr eigenes Bedürfnis ignoriert, was wiederum ein Signal an die eigene Wertigkeit und den Körper sendet.
Präovulationsphase oder der innere Frühling:
Diese Phase wird oft als die einfachste Phase des Zyklus wahrgenommen. Die Blutung ist vorbei, der Körper fühlt sich irgendwie neu an. Endlich ist wieder Energie vorhanden, um wieder ganz im Leben zu stehen. Die Bedeutung und vor allem Verletzlichkeit dieser Phase kann im schnellen, voll gepackten Alltag jedoch untergehen. Der innere Frühling ist die Phase des inneren Mädchens. Deinem inneren Mädchen.
Wie sicher und geborgen ist es aufgewachsen? Wie sicher und geborgen fühlt es sich bei all den täglichen Aktivitäten oder deinen Wünschen und Zielen für dein Leben? Welche Glaubenssätze hält sie?
In dieser Phase kann es ziemlich schnell zu Überforderung kommen ohne einen ersichtlichen Grund. Darunter kann oft ein Clash zwischen dem inneren Mädchen und der Erwachsenen liegen. Das heißt, das innere Mädchen braucht womöglich ein ganz anderes Tempo als die Erwachsene und manche Situationen, die die Erwachsene scheinbar mit links macht, können beängstigend auf das Unterbewusstsein/inneres Mädchen wirken. Die Auswirkung dieses Clashs kann sich in Form von kritischen Stimmen, innerer Erstarrung, fehlender Stimme, Zerstreutsein oder auch einem Gefühl der Einsamkeit, Verlassensein oder Scham zeigen. Mitunter tritt auch hier die sprudelnde Freude auf und frau weiß gar nicht, was sie damit machen soll. Struktur, Tempo aus dem Alltag nehmen und die Verbindung mit dem inneren Mädchen, kann an dieser Stelle sehr heilsam sein.
Ovulation oder der innere Sommer:
Diese Zyklusphase ist bekannt für den Eisprung und all den wunderbaren Dingen, die damit einher gehen können. Der Wunsch nach Verbindung, gern auch sexueller Verbindung, flirten, Spaß haben, das Leben genießen und gleichzeitig auch gesehen zu werden, mit dem, was für frau wichtig ist. An dieser Stelle lädt der Zyklus frau ein, ihr wunderbares Sein mit der Welt zu teilen und in ihrer ganzen Größe zu erscheinen.
Hier treffen sich weibliche Sexualität und personal power, die gelebt und geteilt werden wollen. Das sind zwei Lebensbereiche, die seit Jahrhunderten kollektives Trauma erleben. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn frau sich an dieser Stelle im Zyklus selbst sabotiert, um ihre sexuelle Kraft auf Sparflamme zu halten und nicht gesehen zu werden in ihren Fähigkeiten. Das sich Kleinmachen und Verstecken wird sehr oft unbewusst von Mutter auf Tochter übertragen mit dem guten Vorsatz, dass Kleinmachen Sicherheit im patriarchalen System verspricht. Dies hat allerdings verheerende Auswirkungen auf die Selbstermächtigung der Töchter und ganzer Generationen an Frauen. Zusätzlich kann durch das Vermitteln von einschränkenden Glaubenssätzen tiefes Misstrauen zwischen Frauen gesät werden, was wiederum dazu führen kann, dass frau meint, alles alleine stemmen zu müssen und nicht um Unterstützung bittet. Gerade im inneren Sommer kann das zu Burnout führen.
Welche Glaubenssätze und Verhaltensweisen trägst du in dir, die deine Selbstermächtigung sabotieren?
Prämenstruelle Phase oder der innere Herbst:
Wie bereits erwähnt, erfreut sich diese Phase nicht viel Beliebtheit, weder gesellschaftlich noch auf persönlicher Ebene. „Frau wird schwierig“….weil sie sagt, was sie denkt oder ganz viel fühlt ohne zu wissen, was sie fühlt und sich diese Gefühle auf unklare Weise in Zwischensätzen, bissigen Kommentaren oder Manipulation zeigen können. Oder die aufkommenden Gefühle treffen auf einen Menschen, der nicht mit diesen Gefühlen umgehen kann, was sehr schmerzhaft ist.
Diese Zyklusphase fällt in die zweite Hälfte des Zyklus. Die Energie, die der Körper braucht, um Abwehrmechanismen aufrecht zu erhalten ist weniger da, was zur Folge hat, dass sich mehr Gefühle zeigen können. Der Status quo gerät leicht und mitunter auch so richtig aus dem Ruder. Das Toleranzfenster wird herausgefordert. Teilweise mit sehr großen, dunklen Gefühlen, wo kein Licht am Ende des Tunnels mehr sichtbar ist. Ähnlich wie in der Frühlingsphase können sich hier im Unterbewusstsein liegende Verletzungen aus der Kindheit zeigen, die sich wünschen gesehen und gehalten zu werden. Es ist die Phase des Zyklus, die frau auffordert in die absolute Selbstverantwortung zu kommen. Das gelebte Leben, Glaubenssätze und Abwehrmechanismen sich genau anzusehen, um die Früchte des inneren Herbstes ernten zu können…erwachsene personal power, Klarheit, Fokus, Weisheit und Kreativität.
Jede Zyklusphase birgt ihre ganz eigenen Schätze und Kräfte und kann frau dabei unterstützen, alte Verletzungen und Abwehrmechanismen wahrzunehmen, das Unbewusste ins Bewusstsein zu bringen, sich Gefühlen liebevoll zuzuwenden und das Toleranzfenster sanft und ganz langsam für wundervolle, neue Erfahrungen auszudehnen. Der Zyklus ist somit die Landkarte für deine Selbstermächtigung und das Erleben deines vollen Potenzials.
*alle Menschen mit Menszyklus
Dörte hat Somatische Psychologie studiert mit dem Fokus auf körperorientierter Traumatherapie und ist Autorin des jährlichen Journals „Zyklen leben“. Seit 2015 arbeitet sie mit Frauen in eigener Praxis. Über drei Jahre begleitete sie Frauen mit sexualisierter Gewalterfahrung mit Hilfe von somatischer Gruppenarbeit in Berlin. Ihre Kenntnisse zum Thema intergenerationales Trauma und sexualisierte Gewalt veröffentlichte sie in einem Artikel in dem Journal Body, Movement and Dance in Psychotherapy. In ihren Einzelsitzungen und Gruppenangeboten vereint Dörte somatische Prozessarbeit mit Trauma- und Zyklusarbeit.